Institut für Kunstpädagogik
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Blicke über Schultern - Zu Besuch bei Günter Stöbers Kurs "Experimentelles Gestalten in der Fläche"


"Als die Malerei abstrakt wurde, ging es nicht mehr ohne Konzept" sagt Günther Stöber.
Im Eck hinter den Schränken am Eingang des Malsaales im vierten Stock betrachten 15 Studentinnen und ein Student das Bild "Gelb - Rot - Blau" von Wassily Kandinsky. Wie jeden Montag wird zur Einführung ein Künstler, der den Referentinnen besonders gefällt, vorgestellt. Heute also Kandinsky. Seine Farben leuchten an der Wand und auch in den Augen der Studentinnen, die auf Hockern oder auf den Tischen am Fenster sitzen oder auch daneben stehen. Manche haben schon Arbeitshemden an und sind in ihren Gedanken eigentlich schon bei ihren Bildern,  doch halten sie diese zehn Minuten noch inne um den Blick nach außen zu richten. Durch die Wolken und die großen Fenster fällt Morgenlicht herein. Es ist ruhig, alle hören zu, betrachten das Bild. "Man benötigt eine Anleitung zum Sehen" sagt die Referentin. Dieser und andere Gedanken stehen nun den Raum, werden ausgetauscht, Wörter für Gefühle werden gesucht, es wird über Kunst geredet. Nach diesem gemeinsamen Start verteilen sich alle im Raum, Staffeleien werden hin- und hergeschoben, Leinwände bespannt, Farbtuben ausgepackt. Jede zieht sich in den nächsten zweieinhalb Stunden in ihre Welt zurück und wird doch mit den anderen zusammen sein.

 

Im Malsaal

 

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"Ich bin ein Mensch der gern übermalt was ihm nicht gefällt" sagt Anne während sie ohne Furcht Pinselstriche an die Brust der Frau setzt, deren schwarzen Augen sie ansehen. Erst seit kurzem traut sie sich wieder so zu malen: spontan, intuitiv, so wie früher, erzählt sie. Von Regeln hält sie nicht viel, besonders wenig von denen der klassischen Moderne. Viel zu lange hat sie diese akzeptiert bis sie davon loskam. Sie scheint tatsächlich losgelöst und bereit für neues. Die Frau auf der Leinwand tut es ihr gleich und scheint an einem Wendepunkt zu stehen. Wie in einem entspannten Dialog folgt ein Strich dem nächsten, eine Farbe auf die andere. "Aufhängen oder verkaufen würd ich eh nicht wollen." sagt sie zu Julia, deren Staffelei gleich rechts neben ihrer steht.

 

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Während die beiden Frauen und der Mann auf Julias Leinwand den Dialog eher untereinander als mit dem Betrachter suchen, erzählt sie, dass sie mit diesem Bild einen neuen Weg einschlägt. Bisher waren die Farben bunter und fast nur Grundfarben, nun probiert sie gedecktere Töne, mit Farbe geht sie sparsam um. Dunkelheit umgibt die drei hellen, leicht violetten Körper und lässt ihre Stellung zueinander in den Vordergrund rücken.

 

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Dieses Wechselspiel zwischen Form und Farbe findet sich auf vielen Leinwänden wieder. Nikola-Lea bezeichnet es als Kampf. Das quadratische Bild, in dem sich die kräftigen Farben aneinander reiben, liegt vor ihr auf dem Tisch und bekommt gerade einen dunkelblauen Strich. Gelb, Blau, Rot und Schwarz greifen über die ganze Bildfläche und - ja - kämpfen um sie. In einem aufgeschlagenen Buch gleich daneben sind schwarz-weiße Fotografien zu sehen - sie dienen als Vorlage für die Kontraste. Aus einer Fotografie ohne Farbe wird ein Bild voller Farbe - "Ich arbeite emotional."

 

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Wenn es entspannt ist, wenn es läuft und nichts stört, kann sich etwas entwickeln, sagt sie. Katha steht etwas abseits, ganz versunken in ihrer Arbeit. Der Junge ihr gegenüber trägt ein tintenblaues Tshirt und schaut die Malerin auffordernd fröhlich an. Dem Bild zugrunde liegt eine Photographie, die sie bewegte und aktiv werden ließ - es entwickelte sich etwas Eigenes. "Ich kann von Ganzem fühlen" - sagt sie mit froher Stimme, wie als ob gerade ein geheimer Wunsch wahr geworden wäre.

 

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Der Pinsel scheint Martins Blick zu verlängern bis an die Stelle, an der er auf die Leinwand trifft und mit kurzen Strichen die weißen Haare des alten Mannes von der Stirn nach oben streicht. „Abhängen.“ Die Ideen müssen erstmal abhängen, damit sie reifen und zeigen was sie wert sind. So sammeln sich langsam Bilder und ergeben etwas Neues. Bilder aus der Phantasie, Bilder aus Gedanken und Bilder, die einem aufmerksamen Blick auffallen: So wie auch der alte Mann aus der U-Bahn - unbekannt aber immer noch präsent.

 

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In der Mitte des Raums liegen große Mappen, darauf sind Zeichnungen, bemalte Papiere und Leinwände ausgebreitet. Ab Übermorgen findet die Zwischenprüfung statt bei der auch Bilder bewertet werden - einige im Kurs nehmen daran Teil. Das Werk vieler Monate liegt hier auf dem Boden, wird sortiert und kritisch betrachtet. Wenn die Deckel zugeklappt und die Schnüre zusammengebunden werden, wird nicht nur Papier und Leinwand verpackt, sondern auch Zeit, Mühe, Entscheidungen und Gefühle. Diese Mappen erzählen mehr über ihren Schöpfer als er selbst vielleicht sagen könnte.

 

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Der Mann mit Hut kommt vielleicht in die Mappe. Auch Sarah bereitet sich auf die Zwischenprüfung vor, erzählt sie, während sie die nächste Farbe mischt. Sie malt gerne ausdrucksstarke Portraits, „wo man etwas sieht“, sagt sie, dabei kennt sie die Menschen auf ihren ausgedruckten Vorlagen nicht. Doch Malen ist wohl auch eine schöne Art jemanden kennen zu lernen.

 

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Nach kurzer Überlegung beugt sie sich über das aufbrausende Meer und streicht mit dem Pinsel entschlossen darüber. Das Meer besteht aus blauer, schwarzer und weißer Farbe und liegt in einem großen Papier auf dem Boden. Immer wieder kommt eine neue Welle, neue Farbe ins Bild, das sich ständig verändert. Als ob sie laut - oder besser gesagt sichtbar - nachdenkt setzt Amelie die Farbe konsequent dorthin, wo ihre Gedanken und Gefühle sie momentan hinführen. Schnell reiht sich eine Entscheidung an die nächste - eine Arbeit an einem lebendigen Element.

 

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"Ist das Bild fertig?" Christine schaut Günther Stöber erwartungsvoll an, dieser ihr Bild: Zwei horizontale blaue Streifen stehen sich darin gegenüber. Er zeigt mit der Hand an ihnen entlang und sagt: "Da ist Bewegung". Die Blicke wandern an den Streifen entlang, ruhen sich in der weißen Fläche darüber aus, dazwischen finden sie die leichte graue Linie.

"Haben sie bemerkt, wie wichtig diese Linie ist?"

 

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bericht & fotos: mp